Die Energiewende schafft eine völlig neue, zunehmend vernetzte Energielandschaft. Daraus entstehen zahlreiche neue Wechselwirkungen zwischen Akteuren und Technologien. Modellgestützte Energiesystemanalysen sind daher ein wichtiges Instrument für Entscheider in Politik und Energiewirtschaft, um diese komplexen Zusammenhänge und Wirkungsmechanismen zu verstehen. Mit dem so generierten Wissen können sie anschließend gezielt Impulse setzen, welche die Systementwicklung vorantreiben.

Um die Wirkungsweise der unterschiedlichen Methoden zu untersuchen, die Transparenz bei der Systemanalyse zur erhöhen und die Modelle stetig zu verbessern, sind vergleichende Gegenüberstellungen der Ansätze durch Modellexperimente sinnvoll. „Modellvergleiche sind sehr hilfreich für die Verbesserung der eigenen Modelle und der angewandten Methoden sowie der in den Modellen verwendeten Daten und Parameter. Modellexperimente können zu insgesamt robusteren und genaueren Modellen führen, die Validität und Relevanz von Ergebnissen erhöhen – und somit einen Beitrag zu Wissenschaft und Forschung leisten“, erklärt Steffi Misconel, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Technischen Universität Dresden.

Dynamik neuer Stromanwendungen verstehen

Das Forschungsteam des Verbundprojekts MODEX-EnSAVes hat einen methodisch-orientierten Modellvergleich durchgeführt und anhand eines konkreten Anwendungsfalls für das deutsche Energiesystem durchgespielt. Ziel des Vergleichs war, Ergebnisse unterschiedlicher Modellansätze zum Markthochlauf neuer Stromanwendungen (vor allem Technologien für die Sektorkopplung) und deren sektorale Auswirkungen gegenüberzustellen und zu untersuchen, warum sich Ergebnisse unterscheiden. Die Entwicklungsdynamik neuer Stromanwendungen ist entscheidend für den Weg hin zu einer „elektrifizierten Gesellschaft“, welche sich auch auf die Versorgungssicherheit auswirken kann.

Der Fokus des Vergleichs lag einerseits auf Versorgungssicherheit (kurzfristig) und der Frage, welche Erzeugung angemessen ist (langfristig). Dabei war der Schwerpunkt des Modellexperiments nachfrageseitig auf Elektromobilität im Individualverkehr (elektrische Pkw) und Wärmepumpen in Wohngebäuden. Da Investitionsentscheidungen für Pkw und Gebäudeheizsysteme von diversen Akteuren getroffen werden, gibt es hier vielfältige Einflussfaktoren, welche die einzelnen Modellansätze unterschiedlich abbilden. Für diese sind verschiedene detaillierte Modelle mit spezifischem Analysefokus zur Anwendung gekommen.

Maßnahmen

Eine verstärkte Elektrifizierung könnte Auswirkungen auf die Versorgungssicherheit haben. Um zu beantworten, wie sich kritische Situationen (etwa eine sogenannte kalte Dunkelflaute in einer Winternacht) künftig bewältigen lassen und um Aspekte der Versorgungssicherheit adäquat abzubilden, haben die Forschenden systemanalytische Modelle zur Nachfrageentwicklung mit Elektrizitätsmarktmodellen gekoppelt. Letztere dienen dazu, die zukünftige angemessene Erzeugung (Generation Adequacy) und Versorgungssicherheit zu analysieren Zudem haben sie betrachtet, ob die Erzeugungs- und sonstigen Back-up-Kapazitäten ausreichend sind, um Perioden mit hoher Residuallast bewältigen zu können. Aus den nachfrageseitigen Modellen (Verkehrs-, Wärmenachfrage- und Gebäudepark-, Stromlastprojektionsmodelle) hat das Team zukünftige erwartete Lastgänge für die neuen Stromanwendungen beziehungsweise Sektorkopplungstechnologien (elektrische Pkw und Wärmepumpen) abgeleitet und diese als Eingangsparameter für Stromsystemmodelle verwendet.

Durch wiederholtes Durchführen der Modellrechnungen in einem Energie-Modelle-System (Modellkopplung) war es möglich, Einflussfaktoren wie beispielsweise den Strompreis an die nachfrageseitigen Modelle zurückzuspielen, um wechselseitige Abhängigkeiten bezüglich des Markthochlaufs und der Strompreisentwicklungen zu berücksichtigen. Zusätzlich hat das Team untersucht, ob und wie die Elektrizitätsnachfrage zukünftig im Jahresverlauf gedeckt werden kann, wenn die vorhandenen Flexibilitätspotenziale der Erzeugungsanlagen und Nachfrageanwendungen genutzt werden. Die Versorgungssicherheitsanalysen haben die Projektpartner für zwei verschiedene Wetterjahre durchgeführt: ein Jahr mit extremen Wetterbedingungen (2012) und ein Jahr mit durchschnittlichen Wetterereignissen (2016).

Drei Modellgruppen in einem Energie-Modelle-System vereint

Die in MODEX-EnSAVes beteiligten Modelle lassen sich in drei Modellgruppen gliedern. Diese wurden zu einem Energie-Modelle-System (EMS) gekoppelt, um zu analysieren, wie sich zukünftig relevante Sektorkopplungstechnologien entwickeln und auf kritische Versorgungssituationen auswirken.

  • Modellgruppe Verkehrssektor mit den Modellen ASTRA, ALADIN und TE3: Untersuchung und Modellierung der Entwicklung des Nachfragesektors Verkehr, insbesondere hinsichtlich des Anteils verschiedener (neuer) Antriebstechnologien mit Fokus auf elektrische Pkw.
  • Modellgruppe Wärme- und Gebäudesektor mit den Modellen BSM, HeatSim und FORECAST: Untersuchung und Modellierung der Entwicklung der wärmetechnischen Ausstattung und des Energiebedarfs des Gebäudesektors. HeatSim beschränkt sich auf den Wohngebäudebereich. BSM betrachtet Wohn- und Nichtwohngebäude. FORECAST berücksichtigt zusätzlich auch noch die anderen Nachfragesektoren.
  • Modellgruppe Elektrizitätssektor mit den Modellen JMM-IDILES, PowerACE und ELTRAMOD: Untersuchung und Modellierung der Entwicklung der energieträgerspezifischen Kapazitäten und ihres Einsatzes im Stromerzeugungsbereich. Mit PowerACE, ELTRAMOD und JMM kann zudem der Einsatz steuerbarer Anlagen auf der Nachfrageseite (insbesondere batteriebetriebene Pkw, Wärmepumpen) endogen modelliert werden.
  • Schnittstellenmodell eLOAD, welches die Modellkopplung der drei Sektoren ermöglicht. Das partielle Optimierungsmodell ermittelt die stündliche Gesamtstromnachfrage sowie stündliche Lastprofile der steuerbaren Anlagen (DSM). Damit können mögliche und aus Energienutzersicht ökonomisch vorteilhafte Lastverlagerungen betrachtet werden.

Dreistufiges Verfahren

Für den Modellvergleich hat das Team Ergebnisse der jeweiligen Modellgruppen gegenübergestellt und Abweichungen zwischen den Modellergebnissen ausführlich analysiert sowie deren Ursachen identifiziert. Insgesamt wurden drei Vergleiche durchgeführt:

a)       Direkte Modellvergleiche – Gegenüberstellung der Ergebnisse zu einem bestimmten Aspekt aus Modellen mit ähnlichem Analyseschwerpunkt

b)       Systemsichtvergleiche – Gegenüberstellung der Ergebnisse zu einem bestimmten Aspekt aus Modellen mit ähnlichem Analyseschwerpunkt nach der Modellkopplung (innerhalb des EMS)

c)       Iterationsschrittvergleiche – Gegenüberstellung der Modellergebnisse einzelner Iterationsschritte nach der mehrfachiterativen Durchführung der Modellrechnungen im EMS (Modellkopplung)

Ergebnisse

Systematische Modellvergleiche und -experimente unterstützen den intensiven Austausch zwischen Modellierern und zeigen auf, wie die jeweiligen Modelle verbessert werden können. Die Diskussionen darüber sowie Analysen und Einblicke in die unterschiedlichen Modellierungsansätze stellen einen zentralen Mehrwert für die wissenschaftliche Gemeinschaft dar. Mithilfe der Ergebnisunterschieds- und Ursachenanalyse konnte das Team wesentliche Erkenntnisse darüber gewinnen, wie Szenarien beurteilt werden können und einen Beitrag zur Transparenz von Energiesystemmodellen leisten. Die gewonnenen Ergebnisse dienen als Orientierungshilfe für die Strukturierung und Schwerpunktsetzung zukünftiger Modellexperimente.

„Unsere Herausforderungen waren der hohe Zeit- und Koordinationsaufwand für die Harmonisierung der Daten, die Definition einer gemeinsamen Datenbasis, des Data Warehouse, und gemeinsamer Fachbegriffe. Daher empfehlen wir für derartige Modelle ausreichend Zeit einzuplanen, eine gemeinsame Datenbasis zu bestimmen und Fachbegriffe einheitlich festzulegen sowie frühzeitig einen gemeinsamen Szenariorahmen zu definieren“, sagt Steffi Misconel.

Das Projekt MODEX-EnSAVes hebt die individuellen Stärken und Einsatzschwerpunkte von elf Energiesystemmodellen mit unterschiedlichem Analysefokus hervor. Selbst der direkte Modellvergleich innerhalb einer Modellgruppe (in diesem Fall Verkehrssektor, Wärmenachfrage- und Gebäudesektor, Elektrizitätssektor) ist nicht trivial durchführbar, da die Modelle zum Teil für verschiedene Untersuchungsschwerpunkte konzipiert wurden. Indem Eingangsdaten harmonisiert und Modellierungsdifferenzen angeglichen wurden, konnte das Team trotz konzeptioneller und methodischer Unterschiede Vergleiche ziehen. Die Ergebnisse des direkten Modellvergleichs, des Systemsicht- und Iterationsschrittvergleichs zeigen, dass sich alle Modelle robust entwickeln.

Mit den Systemsichtvergleichen konnten die Projektpartner hervorheben, wie wichtig das optimierte Laden von Elektrofahrzeugen und der optimierte Einsatz von Wärmepumpen mittels Wärmespeicher sind. Die Maßnahmen tragen nämlich dazu bei, die Residuallast zu glätten und kritische Versorgungssituationen zu vermeiden. Ohne die Maßnahmen würde der zusätzlich entstehende Strombedarf aus diesen Anwendungen zu einer täglichen Nachfragespitze in den Abendstunden führen. Stattdessen ermöglicht die Lastverschiebung der Elektrofahrzeuge und Wärmepumpen eine niedrigere Abregelung von erneuerbaren Energieanlagen und Verbrauchern, einem geringeren Einsatz von konventionellen Kraftwerken sowieso verminderten Kohlenstoffdioxid (CO2)-Emissionen.

Unterschiedliche Wetterjahre zu berücksichtigen beeinflusst die Wirkung der Lastverschiebung. In einem durchschnittlichen Wetterjahr können kritische Versorgungssituationen maßgeblich reduziert werden. In Extremwetterjahren können Versorgungsengpässe (neben vermehrten Lastabwürfen und dem Abregeln von Erneuerbaren-Energien-Anlagen) nach Lastverschiebung aus Elektro-Pkw und Wärmepumpen bestehen bleiben. Damit es nicht dazu kommt, sind Flexibilitätsoptionen wie zum Beispiel Batteriespeicher, Stromimporte, Vehicle-to-grid, Elektrolyseure, weiterer Demand-Side-Management- und Power-to-X-Technologien von besonderer Bedeutung.

Modellvergleiche für die Praxis

Im Rahmen der Modellvergleiche konnte das Team identifizieren, wie Energiesystemmodelle (vor allem für Verkehrsmodelle, Gebäudepark-/Wärmenachfragemodelle und Stromsystemmodelle) weiterentwickelt werden können. Durch die Veröffentlichung der Ergebnisse erwarten die Forschenden, dass die Aussagekraft von Modellrechnungen erhöht werden kann und ein Beitrag zur Modell- und Datentransparenz im Kontext der Energiewende entsteht. Neben den Ergebnissen wird das Team auch den dreistufigen methodischen Ansatz des Modellvergleichs zugänglich machen und damit wichtige Hinweise für weitere Modellvergleiche liefern.

Innerhalb des Projekts hat das Team Szenarien aufgestellt, die von anderen Anwendern als Benchmark (Vergleichsmaßstab) verwendet werden können. Gleiches gilt für die Daten, Eingangsparameter und Modellergebnisse, die ebenfalls als Benchmark für ähnliche Studien herangezogen werden können. Die gewonnenen Erkenntnisse (insbesondere die transparente Validierung der beteiligten Modelle) können dazu genutzt werden, um den weiteren Austausch mit Politik und Wirtschaft zu fördern. (ml)

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För­der­kenn­zei­chen: 03ET4079A-F

Projektlaufzeit
01.01.2019 31.12.2021 Heute ab­ge­schlos­sen

The­men

Systemanalyse

För­der­sum­me: rund eine Million Euro

Abschlussbericht

Das öffentliche Dokument finden Sie bei der Technischen Informationsbibliothek Hannover.

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Projektpartner

Technische Universität Dresden  Lehrstuhl für Energiewirtschaft

Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung (ISI)

Universität Duisburg-Essen  Fakultät für Wirtschaftswissenschaften  Lehrstuhl für Energiewirtschaft

Karlsruher Institut für Technologie (KIT)  Institut für Industriebetriebslehre und Industrielle Produktion (IIP)

Energy Systems Analysis Associates  ESA2

M-Five Mobility, Futures, Innovation, Economics

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Förderung

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) fördert das Projekt MODEX-EnSAVes innerhalb des Schwerpunkts Systemanalyse. Den Rahmen dafür bildet das 7. Energieforschungsprogramm. Hier finden Sie weitere Informationen zur Forschungsförderung.

Forschungsschwerpunkt

Systemanalyse

Systemanalyse als Querschnittsdisziplin wirkt in alle anderen Forschungsbereiche hinein. Fachleute dieser Disziplin untersuchen mit Berechnungen und Modellen, welche Wechselwirkungen zwischen technologischen, regulatorischen und sozialen Fragestellungen bestehen. Außerdem entwickeln sie Konzepte für ein optimiertes Energiesystem von morgen.

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