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Reallabore der Energiewende: Ergebnisse praktisch testen

Wenn etwas in großem Stil eingesetzt werden soll, muss man vorher auch in ähnlichem Umfang proben. Das bedeutet, dass neue Technologien schrittweise in größeren Formaten getestet werden müssen – in der angewandten Forschung nennt man das „hochskalieren“. Ziel dabei ist es, dass neue Technologien schließlich praktisch angewendet und in vielen verschiedenen Lebensbereichen eingesetzt werden.

Dieses Hochskalieren ist insbesondere dann eine Herausforderung, wenn es um ein komplexes System geht, in dem auf vielen verschiedenen Ebenen unterschiedliche Akteure zusammenarbeiten. Ein System, in dem neue Technologien im Zusammenspiel funktionieren müssen, in dem auch der Mensch eine zentrale Rolle spielt und in dem riesige Mengen an Informationen und Daten zuverlässig gesammelt, analysiert und ausgetauscht werden müssen. So ein komplexes System ist das künftige Energieversorgungssystem.

Innovative Energietechnologien im Zusammenspiel erproben

Ein Reallabor der Energiewende ist im Verlauf des Hochskalierens sozusagen der letzte Schritt vor der Umsetzung. Der ultimative Praxistest für das, was rein technisch schon machbar ist: Hier werden innovative Technologien in einem realen Umfeld zusammengebracht und in industriellem Maßstab erprobt.

Es geht also nicht um Einzelprojekte, sondern darum, dass das Gesamtsystem funktioniert. Genau so geschieht es in den „Reallaboren der Energiewende“ – einem Förderformat des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK), um Innovationen bei ihrem Sprung in die Anwendung zu unterstützen. Die in den Reallaboren der Energiewende gesammelten Erfahrungen liefern die Erkenntnisse für den tiefgreifenden Umbau des Energiesystems.

Und wie sieht ein Reallabor der Energiewende konkret aus?

Zunächst einmal ist es eine klar definierte Testumgebung. Diese kann einzelne oder mehrere Stadtquartiere umfassen, ganze Städte oder Regionen einbeziehen und gegebenenfalls mehrere Bundesländer beteiligen.

Ein Reallabor der Energiewende deckt ganze Wertschöpfungsketten ab – von der Erzeugung über die Speicherung bis hin zu Transport und Nutzung von Energie – oder es konzentriert sich auf eigenständige Teilbereiche. Die Reallabore der Energiewende greifen dabei ganz konkret zentrale Herausforderungen der Energiewende auf und decken insgesamt alle Sektoren ab, also die Bereiche Verkehr, Wärme/Kälte und Strom.

Im Rahmen der Reallabore der Energiewende beschäftigen sich Fachleute beispielsweise damit, wie man ganze Stadtquartiere energetisch optimiert, welche Rolle Wasserstoff für die Versorgungssicherheit spielen kann oder wie er sich für industrielle Prozesse nutzen lässt. All das passiert unter der Maßgabe der Energieeffizienz und CO2-Reduktion in einem verlässlichen und bezahlbaren Versorgungssystem.

Neue Chancen für Strukturwandel-Regionen

Braunkohlekraftwerk in Boxberg in der Oberlausitz.
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Braunkohlekraftwerk in Boxberg in der Oberlausitz.

Diese Herausforderungen zu meistern ist eine Gemeinschaftsaufgabe. Daher arbeiten in den Reallaboren der Energiewende auch viele unterschiedliche Beteiligte aus Forschung und Industrie, Verbänden, Kommunen und Ländern zusammen. Generell spielt der Faktor Mensch in diesen Reallaboren eine wichtige Rolle. Denn die Energiewende wird von allen getragen. Dabei geht es nicht nur um technische Expertise, sondern auch um Fragen der Akzeptanz.

Der Umbau des Energieversorgungssystems muss über die kommenden Jahrzehnte engagiert vorangetrieben werden, damit Deutschland die eigenen Klimaziele erreichen kann. Die Reallabore der Energiewende sind ein passendes Werkzeug dafür.

Das BMWK fördert die Reallabore der Energiewende außerhalb und innerhalb von Strukturwandelregionen. Denn neue Konzepte zur Energieversorgung sind insbesondere auch in Strukturwandelregionen entscheidend, damit etwa durch die Kohle- und Stahlindustrie geprägte Räume eine neue wirtschaftliche Perspektive erhalten.

Reallabore der Energiewende zu Wasserstofftechnologien und Sektorkopplung

Reallabor der Energiewende Westküste 100: Luftaufnahme der Raffinerie Heide in Hemmingstedt in Schleswig-Holstein.
© Raffinerie Heide
Reallabor der Energiewende Westküste 100: Luftaufnahme der Raffinerie Heide in Hemmingstedt in Schleswig-Holstein.

Im August 2020 fiel der Startschuss für das Reallabor der Energiewende Westküste 100. Dabei entsteht in Schleswig-Holstein die sogenannte Musterregion Heide. Das Projektteam will dort Industrie- und Produktionsprozesse CO2-neutral gestalten. Dafür setzen die Fachleute auf einen 30 Megawatt starken Elektrolyseur, der durch Strom aus Windenergie-Anlagen grünen Wasserstoff herstellt. Über ein Gasnetz soll der Wasserstoff den Weg zu verschiedenen Verbrauchsstellen finden. Darüber hinaus entwickelt das Konsortium Betriebs- und Geschäftsmodelle sowie Empfehlungen, wie der regulatorische Rahmen weiterentwickelt werden könnte.

Zu Beginn des Jahres 2021 haben Fachleute des Reallabors der Energiewende H2-Wyhlen in der Nähe von Basel ihre Arbeit aufgenommen. Sie wollen eine bestehende Power-to-Hydrogen-Infrastruktur von einem auf fünf Megawatt ausbauen und im Betrieb testen. Außerdem wollen die Projektpartner Geschäftsmodelle entwickeln für das bedarfsgerechte Erzeugen, lokale Verteilen und Nutzen von Wasserstoff in den verschiedenen Verbrauchssektoren. Am Ende soll die Power-to-Hydrogen-Infrastruktur so weit fertig gestellt sein, dass sie wirtschaftlich betrieben werden kann.

Im April 2021 ging das Norddeutsche Reallabor los. Die Projektpartner aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik wollen in den beteiligten Bundesländern Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern Wasserstofftechnologien voranbringen und für die Sektorkopplung nutzen. Ihre Ideen möchten die Fachleute großflächig, technologieoffen sowie markt- und realitätsnah in einem gesamtsystematischen Ansatz untersuchen. Das Ziel der Akteure: Vorreiter bei der Energiewende werden.

Reallabor der Energiewende H2Stahl: Die Stahlherstellung mit Wasserstoff schrittweise zu dekarbonisieren
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H2Stahl: Die Stahlherstellung mit Wasserstoff schrittweise zu dekarbonisieren

Der Energiepark Bad Lauchstädt ist das vierte Reallabor der Energiewende des BMWK zu Wasserstofftechnologien und Sektorkopplung. Das Projekt ist im September 2021 gestartet. Fachleute erproben dabei die gesamte Wertschöpfungskette von Wasserstoff, von der Bereitstellung von Strom aus Windenergieanlagen, über die Wasserstofferzeugung und großtechnische Speicherung, den Transport über umgestellte Erdgaspipelines und die stoffliche Verwertung in der Chemieindustrie. Mithilfe der Sektorkopplung wollen sie erneuerbaren Strom damit energetisch und stofflich nutzbar machen. 

Das Reallabor der Energiewende H2Stahl will mit Hilfe von Wasserstofftechnologien aus Erz Eisen gewinnen. Bislang erfolgt dieser Prozess im Hochofen mit Einblaskohle. In einer Übergangsphase soll in Bestandsanlagen reiner Wasserstoff beigemischt werden, der das Verfahren teilweise dekarbonisiert. Durch diese Brückentechnologie hoffen die Betreiber CO2-Emissionen um 20 Prozent zu mindern. Um in späteren Schritten die CO2-Emissionen weiter zu senken, wird parallel erprobt, reinen Wasserstoff in einer Versuchsanlage für Direktreduktion einzusetzen.

Das Energiedienst-Gelände in Wyhlen mit Wasserkraftwerk (hinten) und PtG-Anlage (rechteckiges Gebäude in der Mitte)
Energiedienst

Was passiert in einem Reallabor der Energiewende?

Funktioniert das wirklich? Was passiert auf der Systemebene? Rechnet sich das? Wie und vom wem innovative  Technologien der Energieforschung praktisch erprobt werden, lesen Sie im BMWK-Sondernewsletter.

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Symbolbild Hydrogen Fuel
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Schlaglichter der Wirtschaftspolitik

In „Schlaglichter der Wirtschaftspolitik“ (April 2021) berichtet das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz ausführlich über seine Förderung im Forschungsbereich Wasserstoffstechnologien.

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Begleitforschung
Trans4Real

Im Projekt Trans4ReaL führen Fachleute eine übergreifende Analyse der Ergebnisse der Reallabore der Energiewende zu Sektorkopplung und Wasserstofftechnologien durch.

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BMWK/Holger Vonderlind