14.03.2022

Energiewende vor Ort umsetzen: Welche Rolle Städte und Gemeinden bei der Planung und dem Protest rund um den Netzausbau spielen, hat das Forschungsteam des Vorhabens Dialogbrücken untersucht. Im Interview erzählt Projektleiterin Dr. Stephanie Bock vom Deutschen Institut für Urbanistik, welche Faktoren dazu führen, ob Kommunen den Bau von Stromtrassen unterstützen oder bekämpfen.

Porträt Stephanie Bock
© David Ausserhofer
Dr. Stephanie Bock leitet am Deutschen Institut für Urbanistik in Berlin das Team „Stadt und Raum“ im Forschungsbereich „Stadtentwicklung, Recht und Soziales“. Sie forscht unter anderem zu Bürger- und Öffentlichkeitsbeteiligung, nachhaltigem Flächenmanagement und Gender-Aspekten der Raumplanung. Seit vielen Jahren begleitet und evaluiert Bock kommunale Programme und Förderschwerpunkte des Bundes. Stephanie Bock hat Geografie studiert und im Fach Planungswissenschaften promoviert.

Frau Dr. Bock, was ist eigentlich unbeliebter: ein Windrad oder eine Stromleitung?

Bock: Das ist eine gute Frage. Denn es gibt es in der gesellschaftlichen Diskussion wirklich viele Ähnlichkeiten. Wir befassen uns in unserem Projekt zwar mit Stromtrassen. Bei der Recherche mussten wir aber feststellen, dass es so gut wie keine Studien über die Rolle von Kommunen bei der Öffentlichkeitsbeteiligung zum Netzausbau gibt. Stattdessen sind wir auf das Thema Windkraft gestoßen. Bei diesem Thema wird auch viel und kontrovers diskutiert, welche Lasten und Nutzen die Anlagen für Orte und Regionen bringen. Da liegen Parallelen sehr auf der Hand.

Nach dem Motto „Not in my backyard“ (auf Deutsch: Nicht in meinem Hinterhof/Vorgarten) befürworten viele Bürger zwar die Energiewende, gleichzeitig lehnen sie Windparks und Stromtrassen, die damit verknüpften großen Infrastrukturprojekte, aber ab oder bekämpfen sie sogar aktiv. Wie kann das sein?

Die Energiewende ist für die meisten Menschen etwas sehr Abstraktes. Sie beschreibt ein politisches, ein normatives Ziel, dem jede und jeder gut zustimmen kann. Je konkreter es um die Umsetzung geht, desto uneiniger werden sich die Leute, weil sie selbst betroffen sind. Das trifft übrigens auch auf Politiker zu. So kommt es, dass jede Kommune kritisch guckt, was die konkrete Umsetzung für sie bedeutet und hofft, dass der Kelch an ihr vorübergeht. Das lässt sich mit der schwierigen Suche nach dem Atommüll-Endlager vergleichen. Da sind sich auch alle zunächst einmal selbst die Nächsten, was verständlich ist. Um diese Haltung zu verändern, braucht es einen Prozess, der als transparent wahrgenommen wird. Hinzu kommt, dass das Ziel Energiewende zwar gesellschaftlich breit getragen, aber gar nicht breit genug kommuniziert wurde und wird. Die Energiewende ist bisher nicht zu einem gesellschaftlichen Gemeinschaftsprojekt geworden, sondern in weiten Teilen ein Papiertiger geblieben. Das macht es natürlich schwieriger, die Betroffenen mitzunehmen.

Der Ort, an dem die Ziele der Bundesregierung für den Netzausbau in Deutschland umgesetzt werden müssen, ist die Kommune. Hier werden Interessengegensätze unmittelbar sichtbar.

Die Kommune ist wie ein Nukleus, in dem sich die unterschiedlichen Betroffenheiten, etwa von Landwirten, Anwohnerinnen, Politikern und Unternehmerinnen, zeigen. Sie ist der Ort, an dem die unterschiedlichen Interessen ganz konkret deutlich werden. Viele Menschen befürchten einen Qualitätsverlust ihrer Heimat, zum Beispiel schränken Strommasten optisch die Sicht ein, andere befürchten elektrische und magnetische Felder, also Einschränkungen durch Strahlung. Verlaufen Masten durch Wälder und Naherholungs- oder Naturschutzgebiete, fragen sich BürgerInnen, wie beeinträchtigt eine Schneise den gewohnten Abendspaziergang und die Tiere und Pflanzen, die dort leben? Wird an einer bestimmten Stelle ein Strommast errichtet, bedeutet das gleichzeitig, dass die Nutzungsmöglichkeiten der entsprechenden Fläche eingeschränkt werden. Eine Trassenplanung betrifft oft die Entwicklungsmöglichkeiten der Kommune. Zum Beispiel kann sie dort keine Baugebiete oder Sportflächen ausweisen. Da liegt es auf der Hand, dass vor Ort Konflikte aufkommen.

Zuweilen eskalieren diese Konflikte. Welche Muster haben Sie dabei gefunden?

Bei unserer Forschung haben wir uns auf die beiden 380-Kilovolt-Freileitungen Westküstenleitung in Schleswig-Holstein und Wahle-Mecklar in Niedersachsen und Nordhessen konzentriert. Wir haben zunächst recherchiert, was in Presse-Artikeln und anderen Dokumenten zum Trassenausbau vor Ort veröffentlicht wurde und so einzelne Regionen-Biografien erstellt. Die haben wir ergänzt um Interviews mit verschiedenen Akteuren. Auf dieser Grundlage konnten wir die Prozesse beschreiben und interpretieren und Unterschiede und Knackpunkte herausarbeiten. Es zeigt sich: Konflikte sind immer eine Gemengelage. Einen wichtigen Unterschied macht es beispielsweise nach unserer Erkenntnis, wie sich eine Landesregierung zu den Ausbauvorhaben positioniert und wie sie sich an der Kommunikation beteiligt. Schleswig-Holstein gestaltet in unserem Fallbeispiel die Kommunikation zum Netzausbau aktiv zusammen mit Tennet, dem zuständigen Übertragungsnetzbetreiber. In Niedersachsen verlief die Kommunikation wesentlich zurückhaltender. Dort wurde mehrfach gegen den Leitungsbau geklagt. Das interpretieren wir als Hinweis darauf, dass einzelne Kommunikationsprozesse nicht funktioniert haben.

Damit Kommunikationsprozesse funktionieren, gibt es das Werkzeug der informellen Öffentlichkeitsbeteiligung. Die Ausgangsthese Ihres Forschungsteams war, dass Kommunen in Dialogen zum Übertragungsnetzausbau die entscheidenden Brückenbauer zu lokalen Akteuren sein könnten.

Bislang sind die Netzbetreiber zuständig für die informelle Öffentlichkeitsbeteiligung. Wir haben die Kommunen repräsentativ befragt, was sie von deren Informations- und Beteiligungsangeboten halten. Das Ergebnis zeigt, dass sie zufrieden sind und die Vorhabenträger in den kommunikativen Prozessen eine wichtige Rolle spielen. Auf Dauer können die Übertragungsnetzbetreiber aber die vielschichtigen Anforderungen in ihrer Doppelfunktion als umsetzende Trassenbauer und vermittelnde Kommunikatoren alleine nicht bewältigen. Daher wollten wir erforschen, ob und wie vom Ausbau betroffene Kommunen zu Vermittlern werden können.

Dabei haben Sie festgestellt, dass die Frage, ob ein Leitungsbauprojekt vor Ort umsetzbar ist oder nicht häufig davon abhängt, welche Rolle die Kommune im Verlauf des Planungsprozesses spielt.

Ja, Städte und Gemeinden gehen ganz unterschiedlich mit der jeweiligen Situation vor Ort um. Manche können auf eine gut ausgestattete Verwaltung zurückgreifen und haben gute Erfahrungen mit eigenen Beteiligungsprozessen und mit übergeordneten Planungen gemacht. Für die ist es kein Problem, Stellungnahmen zu formulieren und die Kommunikation zum Trassenausbau aktiv zu unterstützen. Aber häufiger betroffen vom Netzausbau sind kleine Städte und Gemeinden in ländlichen Regionen. Sie haben sehr kleine Verwaltungen und ehrenamtliche Bürgermeister. Zwar vermittelt auch hier die Mehrheit zwischen den unterschiedlichen Interessen. Unsere Befragung zeigt aber, dass es hier Defizite gibt, wie sie bei der Öffentlichkeitsbeteiligung mitwirken. Das liegt daran, dass der Verwaltung sowohl die notwendigen Ressourcen und Qualifikationen als auch die Routinen fehlen, weil sie sich bisher nicht an einem übergeordneten Planungsverfahren beteiligen musste. So kommt es, dass sich einerseits die Kommunen überfordert fühlen, ihre Interessen in den komplexen Prozess frühzeitig einzubringen. Und andererseits werden diese kleinen Gemeinden von den vorhandenen Formen der Ansprache nur unzureichend und meistens zu spät erreicht. Dann können sie Planungsspielräume nicht mehr nutzen und es entstehen Konflikte, die vermeidbar gewesen wären.

Welche Schlussfolgerung leiten Sie von diesen Einsichten ab?

Mit Blick auf unsere Ausgangsthese zeigen unsere empirischen Befunde, dass notwendige Voraussetzungen, die die Kommunen im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung stärken könnten, 
meist nicht vorhanden sind. Das schränkt die Handlungsmöglichkeiten von Kommunen als Dialogbrücken natürlich ein. Deshalb sollte überlegt werden, wer stattdessen diese Aufgabe übernehmen könnte, denn Dialogbrücken sind dringend notwendig, wenn der Netzausbau gelingen soll.

Welche alternativen Modelle sehen Sie und Ihr Forschungsteam?

Größere Städte und Gemeinden und auch Landkreise können die Vermittlerrolle sicherlich übernehmen. Aber für die Mehrzahl der betroffenen Kommunen ist diese Aufgabe eine Nummer zu groß. Deswegen diskutieren wir mögliche Lösungsansätze intensiv mit den Beteiligten unseres Begleitkreises. Darin beteiligt sind relevante Akteure wie die kommunalen Spitzenverbände, die Übertragungsnetzbetreiber, das Wirtschaftsministerium, die Bundesnetzagentur, der Bürgerdialog Stromnetz, einige Bundesländer sowie VertreterInnen der Fallstudien. Noch ist die Diskussion nicht abgeschlossen.

Was ist für die Rolle der Dialogbrücke Ihrer Erkenntnis nach denn das Wichtigste; worauf kommt es an?

Frühzeitig informieren und transparent beteiligen. Nur wenn es gelingt, die vom Netzausbau betroffenen Kommunen, vor allem die kleinen, so früh wie möglich aktiv einzubeziehen, haben sie die Chance, dass ihre Interessen in die weitere Planung einfließen. Und es sollte darüber nachgedacht werden, wie die Mehrfachbelastung ausgeglichen werden kann, die sich für bestimmte Regionen, Städte und Gemeinden durch ein so großes Infrastrukturprojekt, wie den Stromnetzausbau ergibt. Parteien können zusammenkommen und Kompromisse finden, wenn sich alle fair behandeln und behandelt fühlen.

Das Interview führte Katharina Klöber, Wissenschaftsjournalistin beim Projektträger Jülich.

Förderung

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz fördert das Projekt Dialogbrücken im Forschungsbereich Energiewende und Gesellschaft. Den Rahmen dafür bildet das 7. Energieforschungsprogramm. Hier finden Sie weitere Informationen zur Forschungsförderung.

Dialogbrücken – Stromnetzausbau vor Ort: Die Rolle von Kommunen als Dialogbrücken zwischen nationaler Planung und lokalem Protest

För­der­kenn­zei­chen: 03EI5207A,B

Projektlaufzeit
01.07.2020 30.06.2022 Heute ab­ge­schlos­sen

The­men

Energiewende und Gesellschaft

För­der­sum­me: gut 286.000 Euro

Forschungsbereich Gesellschaft

Die Energiewende ist ein umfassender Transformationsprozess und damit eine der größten gesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit. Welchen Forschungsfragen Fachleute in diesem Zusammenhang nachgehen, erfahren Sie hier.

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Weitere Informationen

Wieso das derzeitige Übertragungsnetz nicht mehr ausreicht, welche Gesetze den Stromnetzausbau regeln und wie dieser mit Mensch und Umwelt zusammenspielt, dazu finden Sie mehr auf Netzausbau.de, der zentralen Website der Bundesnetzagentur.

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