Wie widerstandsfähig ist ein klimafreundliches Energiesystem gegenüber Extrementwicklungen? Das Forschungsprojekt eXtremOS hat in den letzten drei Jahren untersucht, wie sich disruptive Ereignisse in Systemanalyse-Modellen abbilden lassen. Der Fokus lag dabei auf europäischen Energiesystem.

Der Wert von Flexibilität steigt mit dem Umbau des Energiesystems auf klimafreundliche Technologien. Neben dem Ausbau volatiler Erzeuger und stetiger Preisschwankungen für fossile Brennstoffe, tragen auch die Kopplung des europäischen Strommarkts sowie technische, regulatorische und gesellschaftliche Entwicklungen dazu bei, dass Flexibilitäten für eine zuverlässige Energieversorgung immer wichtiger werden. Das zeigt sich vor allem bei unvorhergesehenen Ereignissen. Hierzu können politische Entscheidungen (z.B. der Ausstieg aus der Kernenergie) oder wirtschaftliche Effekte zählen, wie unvorhergesehene oder nichtlineare Kostenentwicklungen für Rohstoffe oder Energieanlagen, aber auch Naturkatastrophen. Letztere werden in Folge des Klimawandels zunehmen, dadurch dennoch nicht planbarer.

Systemmodellierungen des Energiesystems und Szenarien basieren meist auf der Annahme einer gewissen Beständigkeit. Sie bilden in der Regel keine Ausnahmesituationen ab, da diese qua ihrer Natur meist unvorhersehbar sind und zudem selten eintreten. Falls ein solcher Einschnitt passiert, kann er dennoch die Grundlage von systemanalytischen Berechnungen fundamental verändern. Umso mehr Bedeutung kommt in einem solchen Fall den Flexibilitäten innerhalb des Systems zu.

Wie flexibel sind die Energiesysteme in Europa im Extremfall?

Das Forschungsteam des Projekt eXtremOS hat daher Methoden entwickelt und angewendet, die es erlauben, den Wert von Flexibilität im Spannungsfeld zwischen Bedarf und Angebot zu untersuchen. Das ist insbesondere für die Energieversorgung in Deutschland relevant, durch die zentrale geographische Lage innerhalb Europas.

Diese Position macht das Energiesystem hierzulande sensibel für Entwicklungen in den Nachbarländern. Das gilt umso mehr, je weiter der Ausbau erneuerbarer Energietechnologien und die Sektorenkopplung in ganz Europa voranschreitet. Somit erhält das Bereitstellen von Flexibilität über den internationalen Austausch von Energie eine zentrale Rolle.

Open-Science-Ansatz

Die Projektwebsite gibt ausführlich Einblick in die Vorgehensweise und die Ergebnisse. Die genutzten Daten stellt das Team im Sinne des Open-Data-Ansatzes unter opendata.ffe.de zur Verfügung. Über countryprofiles.ffe.de sind europäische Energiedaten in Ländersteckbriefe auf einer interaktiven Web-Karte abrufbar. Über ein interaktives Dashboard auf isaarblick.ffe.de stellt das Team zudem das Energiesystemmodell zur Verfügung. Zudem werden einige Datensätze auf der Open- Energy-Plattform veröffentlicht.

„Mit eXtremOS haben wir unsere, über lange Jahre und diverse vom Bundeswirtschaftsministerium geförderte Projekte, entwickelte Modelllandschaft für Europa fit gemacht. Aus unserer Sicht greift die rein nationale Betrachtungen im Bereich der Energiesystemanalyse zu kurz. Auch unsere Nachbarländer stehen vor einer grundlegenden Transformation. Die Wechselwirkungen umfänglich abzubilden ist daher von zentraler Bedeutung“, erläutert Dr.-Ing. Christoph Pellinger von der FfE Forschungsstelle für Energiewirtschaft.

Innerhalb des Vorhabens haben die Verbundpartner daher insbesondere den Einfluss der europäischen Strommarktkopplung auf den Wert von Flexibilität bei technologischen, ökonomischen und regulatorischen Extremfällen in den Fokus der Arbeiten gestellt und die Frage der Interdependenzen zwischen den europäischen Ländern berücksichtigt. „Durch einen integrierten Szenarioprozess konnten wir qualitative und quantitative Szenariokonstruktion konsistent verknüpfen. Darauf aufbauend konnten wir zudem einen stimmigen, europaweiten regionalisierten Datensatz zur Abbildung der Energieerzeugung und des –verbrauchs erstellen“, erklärt Andrej Guminski von der FfE Forschungsstelle für Energiewirtschaft. Dafür haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unter anderem anwendungsorientierte und standardisierte Energie- und Emissionsbilanzen für 30 europäische Länder für die Jahre 2014 bis 2017 erstellt. Dabei hat das Team einen hohen Detaillierungsgrad angelegt, um durch die Präzision der Daten aussagekräftigere Rückschlüsse ziehen zu können. Alle Projektergebnisse können unter eXtremOS.ffe.de eingesehen und heruntergeladen werden.

Europäisches Stromnetz als größter Einflussfaktor

Darauf aufbauend hat das eXtremOS-Team Szenarien für das künftige europäische Energiesystem bis in das Jahr 2050 entwickelt und dafür auf ein ganzheitliches Modell zurückgegriffen. Die Forschenden haben dabei den Schwerpunkt auf Deutschland, Österreich und die mit diesen beiden Ländern auf der Stromnetzebene verknüpften Länder gelegt, jedoch auch anderen europäische Staaten modelliert.

Die Kernfrage hinter allem: Wie wird das Energiesystem der Zukunft aussehen, wenn bis 2050 tiefe Treibhausgasverminderung in allen Sektoren stattfindet? Und wie sieht es aus, wenn die Klimaziele nicht erreicht werden? Im Zuge dieser beiden Fragen hat das Forschungsteam extreme regulatorische und technologische Entwicklungspfade in die Betrachtungen miteinfließen lassen. Ein Beispiel hierfür ist ein Preisverfall für zukunftsrelevante Technologien.

Das Projekt hat gezeigt, das europäische Stromnetz stellt als geografische und zeitliche Flexibilität die Option mit dem größten Einfluss auf die Integration erneuerbarer Energien dar. Hinzu kommen Flexibilitätsoptionen, wie das Nutzen der grenzüberschreitenden Handelskapazitäten. Die Projektpartner haben hierfür konkret untersucht, welchen Einfluss diese Faktoren im Falle von Extremereignissen haben könnten und haben dafür einen multimodalen Ansatz aus neun miteinander verknüpften Systemmodellen zur Ableitung dieser Szenarien entwickelt. Diese Herangehensweise hat eine hohe Detailtiefe der Ergebnisse ermöglicht. Die mit Hilfe der Modelle entstandenen Last- und Erzeugungsprofile reichen über ganz Europa mit einer räumlichen Auflösung auf die Landkreisebene (NUTS-3) und zeitlich auf eine Stunde herunterrechenbar.

Hilfestellung für Entscheider in der Praxis

Dank der Kooperation des Projektteams mit neun Industriepartnern konnten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Ergebnisse ihrer Untersuchungen direkt mit der Praxis spiegeln und somit einen hohen Realitätsbezug der Arbeiten sicherzustellen. „Die Verknüpfung von Wissenschaft und Praxis liegt uns besonders am Herzen. In eXtremOS konnten wir durch unsere Industriepartner die Praxisrelevanz unserer Arbeit stetig überprüfen. Auf der anderen Seite konnten wir auch unsere langjährige Projekterfahrung aus dem Bereich der Energieaudits und industriellen Transformation einfließen lassen, um insbesondere die Analysen in diesem komplexen Sektor mit aktuellen Daten und Wissen aus der Praxis zu untermauern“, erläutert Andrej Guminski.

Damit sind Methoden entstanden, die die Simulation konsistenter europäischer soziotechnischer Energieszenarien ermöglichen und damit einen Beitrag liefern, die Komplexität der potenziellen Transformationspfade auf dem Weg zur Klimaneutralität in Europa zu erfassen. (ml)

eXtremOS - Wert von Flexibilität im Kontext der europäischen Strommarktkopplung bei extremen technologischen, regulatorischen und gesellschaftlichen Entwicklungen

För­der­kenn­zei­chen: 03ET4062A-D

Projektlaufzeit
01.01.2018 31.03.2021 Heute ab­ge­schlos­sen

The­men

Systemanalyse

För­der­sum­me: rund 2,15 Millionen Euro

Abschlussbericht

Das öffentliche Dokument finden Sie bei der Technischen Informationsbibliothek Hannover.

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Website des Projekts

Weitere Informationen zu eXtremOS finden Sie auf der englischsprachigen Internetpräsenz.

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Förderung

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) hat das Projekt eXtremOS im Forschungsbereich „En:SYS – Systemanalyse für die Energieforschung“ innerhalb des Schwerpunkts Querschnittsaufgaben gefördert. Den Rahmen dafür bildet das 6. Energieforschungsprogramm. Hier finden Sie weitere Informationen zur Forschungsförderung.